Am 30.11.2023 verstarb Prof. Dr. Hans Wilhelm Bohle im Alter von 88 Jahren. Wir – die „Marburger Limnologinnen und Limnologen“ – trauern um unseren geschätzten Lehrer, langjährigen Wegbegleiter und Wegbereiter.
Hans Wilhelm Bohle wurde am 02.11.1935 in Bremerhaven geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend in Norddeutschland. Er liebte die Natur und beschäftigte sich in frühen Jahren mit der Ornithologie. 1955 begann er das Studium der Biologie/Zoologie an der Philipps-Universität in Marburg. In seiner 1969 publizierten Dissertation untersuchte er die Embryonalentwicklung und die embryonale Diapause von Eintagsfliegen aus der Familie der Baetiden. Seine eigene akademische Laufbahn begann in 1968 als Hochschullehrer am Fachbereich Biologie der Philipps-Universität Marburg. Hier entwickelte er seine wissenschaftliche Leidenschaft für die Erforschung der Wasserinsekten fort - ganz im Sinne des von ihm verehrten Carl Wesenberg-Lund`s. Dabei beschäftigte er sich insbesondere mit dem Köcherbau und dem Driftfangverhalten von Köcherfliegen sowie mit der organismischen Drift von Eintagsfliegen (Baetis) in Fließgewässern und im Labor (Fließrinnenversuche). Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit deckte er den Themenbereich der limnischen Ökologie in der Arbeitsgruppe Tierökologie und Spezielle Ökologie von Prof. Dr. Hermann Remmert ab. Nach dessen frühem Tod wurde Hans Wilhelm Bohle Mitte der 1990-er Jahre zum ordentlichen Professor ernannt. 1995 erschien sein Werk „Spezielle Ökologie - Limnische Systeme“. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2003 betreute er noch viele Kandidatinnen und Kandidaten als Erstbetreuer. In seinem Spätwerk beschäftigte er sich in mehreren Publikationen mit der Entwicklung der Zoologie und der zoologischen Sammlung an der Universität Marburg im 19. Jahrhundert.
In der Lehre und in den von ihm betreuten Diplom- und Doktorarbeiten war ihm die Vermittlung der Rolle der Autökologie für das Verständnis biozönotischer und ökosystemarer Zusammenhänge immer sehr wichtig. Folglich entstanden in den 1990-er Jahren unter seiner Anleitung zahlreiche syn- und autökologische Arbeiten über Köcherfliegen (Glossosomatidae, Lepidostomatidae) in Quellbächen und kleinen Fließgewässern im Einzugsgebiet der Lahn. Auch die Emergenz und Besiedlungsstruktur von Quellen und sommertrockenen Gewässern gehörten in dieser Zeit zu seinen Interessensschwerpunkten. So war er ein sehr aktives Mitglied im DGL-Arbeitskreis „Temporäre Gewässer“ und wirkte mit am ersten deutschsprachigen Kompendium zum Thema „Gewässer ohne Wasser?“, das im Jahr 2000 erschien.
Er sah aber auch die angewandte Limnologie und engagierte sich im Gewässerschutz. An den Bundeswasserstraßen standen nach Verbesserung der Wasserqualität und Besiedlung durch die aquatischen Wirbellosen zunehmend hydromorphologische und gesamtökologische Fragenstellungen im Raum. Hier brachte er sich im BMBF-Verbundprojekt "Elbe-Ökologie" sowie in dem länderübergreifenden „Lahnprojekt“ ein. In einem Gemeinschaftsprojekt der TU Darmstadt und den Universitäten Kassel, Karlsruhe und Marburg betreute er gegen Ende der 1990-er Jahre Arbeiten in einem interdisziplinären, DFG-finanzierten Projekt zur Besiedlung und Funktion des hyporheischen Interstitials am Beispiel eines abwasserbelasteten Lahnabschnittes.
Artenkenntnis zu vermitteln, zu fördern und in der Arbeitsgruppe zu tradieren war ein stetes Anliegen von Hans Wilhelm Bohle, denn hierin sah er eine wichtige Grundlage für eine solide limnologische Ausbildung. Ein ausgeprägtes Interesse an der Faunistik und Taxonomie gehörte zum „guten Ton“ in der Arbeitsgruppe. So gab es eine rege Teilnahme an den „Eintags-, Stein- und Köcherfliegen-Tagungen“ in Bad Bevensen u. a. mit Beiträgen zur Wasserinsektenfauna Hessens. Im Oktober 1993 führte er zusammen mit Andreas Hoffmann den ersten DGL-Bestimmungskurs für Köcherfliegen (AK "Limnologie für die Praxis") an der Universität Marburg durch.
Das praktische limnologische Rüstzeug vertiefte er mit seinen Studierenden auf zahlreichen Exkursionen. Sie führten von den artenreichen Fließgewässern und den einzigartigen Maaren in der Eifel („auf den Spuren von Thienemanns Seentypologie“), den Seen und Fließgewässern Süddeutschlands und Österreichs bis hin zu mediterranen Gewässern in Griechenland. Legendär war auch sein 24-Stunden-Freilandkurs an Bächen im Marburger Umland mit Driftfang im Gewässer, der Aufnahme von abiotischen Parametern im Tagesverlauf sowie dem obligatorischen nächtlichen Lichtfang.
Hans Wilhelm Bohle hatte nicht zuletzt durch sein langjähriges, ehrenamtliches Engagement im Naturschutz gute Kontakte zu den Praktikern in der regionalen Naturschutz- und Wasserwirtschaftsverwaltung. Noch 2022 erhielt er die Goldene Ehrennadel der Universitätsstadt Marburg für 41 Jahre Mitgliedschaft im Naturschutzbeirat der Stadt (ab 1993 als dessen Vorsitzender). Er vermittelte seinen Kandidatinnen und Kandidaten nach Abschluss ihres Studiums erste fachgutachterliche Tätigkeiten etwa bei der wissenschaftlichen Begleitung der ersten Fließgewässer-Renaturierungsprojekte in Hessen (z. B. an der Zwester Ohm) oder bei der Rekultivierung der Tagebaurestseen im nordhessischen Braunkohlerevier von Borken (Borkener See).
So entstand eine innige Verbundenheit der „Marburger Limnologinnen und Limnologen“ zu ihrem großen Lehrer und Förderer. Bei seiner Emeritierungsfeier entstand der Wunsch, im Kontakt zu bleiben und sich jährlich zu einer naturkundlichen Wanderung zu treffen. Diese schöne Tradition konnte bis ins Jahr 2019 aufrechterhalten werden. Noch mit 84 Jahren nahm er an einer 10 km langen Wanderung in Rheinhessen teil (Foto).
Prof. Dr. Hans Wilhelm Bohle war nicht nur ein großartiger Lehrer, dem wir und viele Weggefährten zu Dank verpflichtet sind. Wir werden ihn auch als Mensch mit seinem freundlichen Wesen und seiner stets zugewandten, nahbaren Art sowie seinem unverwechselbaren Humor auf unseren zukünftigen Wanderungen vermissen.
Dr. Jochen Fischer, Tom Widdig, Dr. Folker Fischer, Prof. Dr. Andreas Hoffmann, Ellen Ploß, Armin Knebel, Dr. Mario Sommerhäuser sowie im Namen aller „Marburger Limnologinnen und Limnologen“